Das Bedürfnis nach Nähe und Distanz stärken
Der Buchstabe D in Kombination mit Coronavirus ergibt unweigerlich das Wort «Distanz». Deshalb mein Zusatz zum Buchstaben D, der zwar nichts zum Lernen beiträgt, aber womöglich zum Denken anregt.
Die Distanz hält unsere Gesellschaft im Moment aus gesundheitlichen Gründen auf Abstand. Aber der Distanz begegnen wir auch sonst in Alltagssituationen. Und so bin ich der Frage nachgegangen, was die Distanz mit uns macht.
D wie
• Distanz
Die Distanz, die wir bewusst oder unbewusst zu anderen Menschen einnehmen, ist ein Mittel der nonverbalen Kommunikation und beschreibt so das Verhältnis zueinander. Natürlich hängt der bevorzugte Abstand von vielen Faktoren ab: der Kultur, der Stimmung, dem Kontext, den Erfahrungen, Beziehungen und individuellen Charakterzügen.
Wir alle haben schon Erfahrungen mit Menschen gemacht, die unser Gefühl für die Distanz verletzen, indem sie diese unsichtbare Grenze überschreiten. Und oft «kleben» wir Umstände bedingt an unserem fremden Sitznachbarn im überfüllten Zug oder Bus und atmen auf, wenn wir dieser Situation entfliehen können.
Untersuchungen haben gezeigt, dass unsere Nervenzellen ein Ausweich- oder Abwehrverhalten auslösen, wenn diese unsichtbaren Zonen durchbrochen werden. Der Anthropologe Edward T. Hall unterscheidet vier Distanzzonen:
1. Die Intimzone umfasst einen Raum von etwa 45 cm und gilt zum Beispiel für Familienmitglieder oder Partner.
2. Die persönliche Zone (ausgestreckte Arme) bezeichnet den greifbaren Raum, so begegnen wir Freunden und guten Bekannten.
3. In der sozialen Zone (1,2 bis 3,6 Meter) unterhalten wir uns mit Fremden oder Geschäftspartnern.
4. Die öffentliche Zone (ab 3,6 Meter) erleben wir, wenn wir anderen zuhören, ohne zu interagieren, etwa bei einem Vortrag.
Interessant (aber nicht überraschend) ist die Feststellung des Anthropologen: Je geringer die Entfernung ist, desto enger die Beziehung. Wird dieser Raum übertreten, reagieren wir irritiert. Untersuchungen zeigten, dass Kinder aus unsicheren Bindungen zu ihren Bezugspersonen gegenüber Fremden eine kleinere und durchlässigere Distanzzone halten. Sie tolerierten es eher, wenn jemand in ihren persönlichen Bereich eindrang.
Als Eltern und Erzieher finde ich es deshalb sehr wichtig, Kinder und Jugendliche in ihrem natürlichen Bedürfnis nach Nähe und Distanz zu bestärken und ihnen zu helfen, die Grenzen ihres Sicherheitsbereichs zu wahren.
Dazu gibt es eine einfache Übung, um das Gefühl der Komfortzone bewusst wahrzunehmen und die eigene Autonomie für dieses Thema zu stärken: Eine Person nähert sich langsam dem Probanden, bis diese Unbehagen verspürt und ein Stoppsignal gibt. Hier kann man auch sehr gut Rollenspiele mit Personen aus dem öffentlichen, sozialen oder persönlichen Raum machen.
Ich hoffe sehr, dass wir dem Gefühl für unseren ganz persönlichen Raum bald wieder gerecht werden können.