Vertrauen schenken statt Druck machen
Lernschwierigkeiten fordern nicht nur den Betroffenen selbst, sondern auch die Eltern und Lehrpersonen. Ganz unmerklich passiert es, dass wir Druck ausüben. Aber ist das der richtige Weg? Nein, was es braucht, ist Vertrauen.
Lernschwierigkeiten verunsichern alle – die Betroffenen ebenso wie Eltern und Lehrpersonen. Wir können nicht so tun, als ob Schulbildung keine Bedeutung hätte. Unser heutiges Bildungssystem erlaubt uns zwar, alles nachzuholen, aber es ist uns auch bewusst, dass es für gewisse Dinge ein ideales Zeitfenster gibt. Die Reaktionen sind vielseitig: Ohnmacht, Widerstand, Sorge, Resignation oder Druck, um nur einige davon zu nennen. Den wenigsten gelingt es, bei Lernschwierigkeiten gelassen und vertrauensvoll zu bleiben. Dabei wäre genau dieses Vertrauen äusserst effektiv.
«Denn niemand lernt so eifrig wie die Leute, die nicht lernen dürfen», lässt Wolf Haas seine Hauptfigur in seinem sehr empfehlenswerten Entwicklungsroman «Junger Mann» feststellen. Das Lernen gehört im Leben dieser Romanfigur zum Wenigen, das funktioniert. Und es wird für ihn der Schlüssel, um anderen Menschen auf ihrem Weg zu helfen. Was bedeutet dann wohl der Umkehrschluss für unsere Jugendlichen, die «nichts» machen müssen ausser gute Leistungen zu bringen? Vielleicht noch dem heutigen Persönlichkeitsideal entsprechen, wie es Jens B. Asendorpf beschreibt: Die Jugendlichen sollen selbstbewusst, sozial, intelligent, sportlich, kreativ, lernfreudig, konzentrationsfähig, aber auch spielerisch sein… Die Welt steht ihnen offen, mit tausend Möglichkeiten, sie müssen nur das Richtige tun. Sie werden gefördert und gefordert, belohnt und bestraft, manchmal alles gleichzeitig. All das ist meist gut gemeint, aber auch verwirrend. Noch nie hatten wir so viele Optionen und gleichzeitig so viel Unsicherheit.
Damit komme ich zu einem der wichtigsten Einflussfaktoren des Lernens: Dem Vertrauen, das die Umgebung in den Jugendlichen setzt und der Chance, ihm damit Selbstvertrauen zu schenken. Damit meine ich keineswegs Gleichgültigkeit, die Verantwortung abgibt und damit den Jugendlichen überfordert. Wir müssen in der Nähe bleiben, teilnehmen, uns interessieren. Die Wissenschaftsjournalistin Patricia Thivissen geht sogar noch einen Schritt weiter: «Menschen, die offen für neue Erfahrungen sind, setzen grösseres Vertrauen in andere. Vertrauen verbindet nicht nur zwei Menschen – es schweisst sie zusammen». Vertrauen erfordert Mut und Respekt, andere Lösungen zu akzeptieren, das eigene Weltbild hintenanzustellen und den Jugendlichen neugierig statt allwissend zu begleiten. Seine Entscheidungen zu respektieren kann hart sein, vor allem, wenn es nicht unserem Ideal entspricht und wir doch sehr gerne hätten, dass er endlich…
Es gibt noch einen dritten Aspekt, den ich für sehr wichtig halte: die Arbeitshaltung. Niemand kann ein Kind oder einen Pubertierenden zwingen, sich zu interessieren, gründlich zu lernen oder sich zu begeistern. Aber wir können verlangen, dass sie das, was sie tun, richtig tun und dass man sich auf sie verlassen kann. Ganz viele Untersuchungen zeigen: Ausdauer und Gewissenhaftigkeit lohnen sich nicht nur im Sport, sondern machen auch im Privat- und Berufsleben erfolgreich. Wer mit Leidenschaft, Hartnäckigkeit und Toleranz über lange Zeit ein Ziel verfolgt, kann auch besser mit Rückschlägen umgehen.